Zum Inhalt springen Zur Suche springen
Marco Boschinis La carta del navegar pitoresco (1660). Venezianisch-deutsche Edition mit wissenschaftlichem Kommentar und einführenden Essays

„Nehmt als Führer […] meine Seekarte [Carta del Navigare],
um hinaus in einen riesigen Archipel zu fahren […].“

 

In seiner kunsttheoretischen Schrift La carta del navegar pitoresco (1660) rechnet Marco Boschini mit Giorgio Vasaris Missachtung der venezianischen Maler ab und setzt ihr einen metaphernreichen Lobgesang auf die Kunst der Serenissima entgegen. Überdies gibt der Autor den Leser:innen mit der „Karte einer malerischen Seefahrt“ eine Anleitung zur Betrachtung und Beurteilung venezianischer Malerei an die Hand. Das in venezianischem „volgare“ in Reimform verfasste, mit 20.000 Versen wahrhaft monumentale Kunstgespräch wird erstmals übersetzt und systematisch untersucht.

Der Stecher, Kunsthändler und Kunstschriftsteller Marco Boschini (1605–1681) brachte 1660 in Venedig seine Schrift La carta del navegar pitoresco heraus. In dem fiktiven Dialog tauschen sich ein „Professor de Pitura“, der „Compare“, und ein kunstinteressierter Patrizier, „Ecelenza“, über die venezianische Malerei vom letzten Viertel des 15. Jahrhunderts bis in Boschinis Gegenwart des Seicento aus. Ihre Unterhaltungen führen sie in einer „barca“ während einiger „Reisen“ durch die Kanäle und durch die Lagune Venedigs, unmittelbar vor den Gemälden in Kirchen, Klöstern und Scuole sowie bei Regen im Palazzo des „Senator delettante“. Man diskutiert über den Kunstmarkt und die lokalen Sammlungen, erörtert Stil- und Gattungskategorien wie auch kunstliterarische Denkweisen und behandelt künstlerische Gestaltungskriterien sowie wirkungsästhetische Fragen.

Boschinis Schrift zur Definition einer „scuola veneziana“ ist innerhalb des Kunstdiskurses des 17. Jahrhunderts einzigartig, seiner Singularität zum Trotz in der Forschung aber vergleichsweise wenig untersucht. Ziel der Edition ist es, das in venezianischem Dialekt („volgare“) verfasste Monumentalgedicht erstmals als kritische zweisprachige Ausgabe vorzulegen. Ausgangspunkt stellte das Projekt Diskrepante Traditionen, ‚Alt‘-‚neu‘-Hybride und Gattungsmischungen in der venezianischen Malerei und Kunsttheorie des Seicento dar, das Teil einer aus acht Projekten bestehenden Forschergruppe (FOR 2305: Diskursivierungen von Neuem. Tradition und Novation in Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit) war und über zwei Förderphasen zwischen 2016 und 2023 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt wurde. Unter der Leitung von Valeska von Rosen wurde die Übersetzung aus dem Venezianischen ins Deutsche erstellt, um in einem „close reading“ Boschinis Werk inhaltlich, strukturell, quellenkritisch und nicht zuletzt terminologisch zu erfassen. In dem gemeinsam konzipierten Kommentar wird dem aktuellen Forschungsstand Rechnung getragen. So werden beispielsweise Quellen- und Referenztexte, kunsttheoretische Leitbegriffe und Topoi und nicht zuletzt die vielfältigen Sprachbilder Boschinis erläutert; besonderes Augenmerk liegt darüber hinaus auf dem von ihm eigens entwickelten venezianischen Vokabular, das sich etwa zur Charakterisierung einzelner Maler respektive zur differenzierten Bezeichnung von Arbeitsweisen, Maltechniken und Gestaltungsmitteln deuten lässt. In den in die Edition einführenden analytischen Essays werden unter anderem Boschinis Rückgriffe auf eine Reihe literarischer, theaterhaft-performativer sowie geographischer Vorbilder herausgearbeitet, auf deren Basis Boschini ein auf hohe Plausibilität ausgelegtes, durch Raum und Zeit definiertes narratologisches Modell für die Feier der „maniera veneziana“ entwirft. Mit der Tiefenerschließung der Carta del navegar pitoresco soll Boschinis Dialog für die kunsthistorische wie auch für die interdisziplinäre Frühneuzeitforschung zugänglich gemacht werden.
Das Editionsvorhaben ist am Deutschen Studienzentrums Venedig (DSZV) als assoziiertes Projekt angesiedelt.