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Jazzrundgang Wuppertal

„Kreativität bedeutet, Grenzen zu überschreiten. Wuppertal ist immer grenzüberschreitend gewesen. Ich glaube, in Wuppertal sind Grenzüberschreitungen selbstverständlicher als anderswo“, so der amerikanische Journalist und Chicagoer Hochschullehrer John Corbett seine zu diesem Zeitpunkt 20jährige Erfahrung mit dem europäischen Free Jazz resümierend. Auch der Direktor des Jazzinstituts Darmstadt, Wolfram Knauer, betont die zentrale Rolle Wuppertals innerhalb der Geschichte eines eigenständigen europäischen Jazz. Dies zeigt sich bis heute an verschiedenen Orten innerhalb der Stadt, die im Folgenden von Studierenden des Projektseminars Free Music/Art Production vorgestellt werden.

 

Die enge Verbindung von Musik und bildender Kunst, von Theater und Tanz, die in der Entwicklung der Free Jazz-Szene Wuppertals prägnant zutage tritt, ist in besonderem Maß an der Nachkriegsgeschichte des Von der Heydt-Museums abzulesen. Mit dem Einzug der improvisierten Musik und des Tanzes in das bergische Ausstellungshaus eröffneten sich für alle Beteiligten neue Wege und Partnerschaften, die noch bis heute nachwirken.

Auf Initiative des Elberfelder Museumsvereins wurde 1902 das Städtische Museum Elberfeld gegründet, welches seit 1961 nach seinen wichtigsten Förderern, der Bankiersfamilie Von der Heydt, benannt ist. Nach der kommunalen Neugliederung der Städte Elberfeld und Barmen zu Wuppertal wurde das Museum zum Städtischen Museum der neugegründeten Stadt. Die Sammlung des Ausstellungshauses beherbergt Gemälde, Skulpturen, Grafiken und Fotografien vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, mit besonderem Schwerpunkt auf der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts und der modernen Kunst.

Zentral in der Innenstadt Wuppertals gelegen befindet sich das Von der Heydt-Museum im ehemaligen Elberfelder Rathaus, einem monumentalen Bau des Architekten Johann Peter Cremer, welcher von 1828 bis 1842 entstand und nach schweren Beschädigungen infolge des Zweiten Weltkriegs wiederaufgebaut wurde. Bereits Anfang der 1960er Jahre gab es Überlegungen, ein neues Museumsgebäude zu errichten, diese Bemühungen wurden jedoch aufgrund finanzieller Engpässe der Stadt eingestellt. Stattdessen wurde schließlich 1986 bis 1990 das bestehende Alte Rathaus durch die Kölner Architekten Busmann + Haberer umgebaut und modernisiert, wodurch ein neues Raumkonzept sowie die überdachte Nutzung des Innenhofs möglich gemacht wurde.

Den Anfangspunkt der Kooperation des Museums mit Musiker:innen, Künstler:innen und Tänzer:innen findet man in der Reihe Begleitende Veranstaltungen zum Kunstmarkt. Das Programm, welches im Dezember 1972 startete und Filmvorführungen, Diskussionen und Jazzkonzerte umfasste, wurde gestaltet von den beiden Wuppertaler Free Jazz-Musikern Peter Brötzmann und Peter Kowald in Zusammenarbeit mit dem damaligen stellvertretenden Museumsleiter Heinrich Müller. Beteiligt an der Gestaltung der Reihe waren darüber hinaus auch Detlef Schönenberg, Hans Reichel, Paul Lovens, Rüdiger Carl und Günter Christmann; also die Musiker, welche zu einem späteren Zeitpunkt die Wuppertaler Free Jazz Workshops begründen sollten. Im Rahmen der Begleitenden Veranstaltungen fanden bis zum Sommer 1976 monatlich frei improvisierte Konzerte im Von der Heydt-Museum statt, wofür die international vernetzten Organisatoren namhafte Musiker der Szene in die bergische Stadt holten, u. a. das Alexander von Schlippenbach Quartett, Gunter Hampel & His Galaxie Dream Band, die Gruppe Open Field Music und das Frank Wright Quartett. Inmitten der Ausstellungsräume traten die improvisierte Musik und die ausgestellten Kunstwerke in einen spannungsvollen Dialog, welcher bereits nach kurzer Zeit zu überfüllten Museumssälen führte.

Ein besonders prägendes Aufeinandertreffen am 8. November 1973 betitelte Dirk H. Fröse in einem Artikel der Westdeutschen Zeitung als ein „Spiel ohne Grenzen“: Detlef Schönenberg (Schlagzeug) und Günter Christmann (Posaune) traten hier gemeinsam mit der neu ernannten Ballettchefin der städtischen Bühnen, Pina Bausch, auf. Alle drei folgten im jeweils eigenen Spiel unabhängig voneinander dem Prinzip der freien Improvisation und legten in diesem legendären Auftritt den Grundstein für ein kooperatives Zusammenarbeiten in den Folgejahren, welches sie auf weitere Bühnen in Berlin (Akademie der Künste, 1974) und Wuppertal (Theater, 1975) führen sollte. Die interdisziplinäre Veranstaltungsreihe fand im Jahr 1976 jedoch trotz der Bemühungen der an der Organisation beteiligten Jazz AG (u. a. unter der Beteiligung des Veranstaltungsorts die börse) aufgrund gestiegener Kosten ein kurzfristiges Ende.

Im darauffolgenden Jahrzehnt versuchte man immer wieder, an den Erfolg des Veranstaltungsformats anzuknüpfen: So fanden in den 1980er Jahren Free Jazz-Workshops im Erdgeschosssaal des Museums statt, welche von Passant:innen öffentlich eingesehen werden konnten. Auch kooperative Performances, u. a. mit Angehörigen der Volkshochschule Wuppertal, wurden in der Wandelhalle der ersten Etage realisiert. Bereits kurz nach der Wiedereröffnung des modernisierten Museumsbaus im Mai 1990 erfolgte dann, organisiert von der Jazz AGe, die Eröffnung der Konzertreihe moving pictures for the ear – Jazz im Museum: Mit dem Mitorganisator der Ursprungsreihe Peter Brötzmann traten die Musiker Michel Waisvisz und Phil Minton auf. Aufgrund von Schallbeinträchtigungen durch die gespielte Musik, die man als Gefahr für den Neubau und die ausgestellten Werke sah, wurde die Reihe nach langen Verhandlungen mit der Direktorin Sabine Fehlmann jedoch beendet.

Performances an der Schnittstelle von Musik, Kunst und Tanz finden seit 2020 wieder vereinzelt Eingang in das Museumsprogramm, so beispielsweise im Zuge von Spektren, einem Auftritt des Flötisten Karsten Greth gemeinsam mit den ehemaligen Mitgliedern des Pina-Bausch-Tanztheaters Pascal Merighi und Thusnelda Mercy im Dialog mit der Ausstellung An die Schönheit – Stars der Sammlung im September 2020. Ob sich an die einstige Nähe des Museums zur avantgardistischen Jazz-Szene Wuppertals wiederanknüpfen lässt, bleibt offen. Das Von der Heydt-Museum nahm zuletzt jedoch eine neue Kooperation mit dem Standort Wuppertal der Kölner Hochschule für Musik und Tanz auf. Außerdem fand hier im Oktober 2021 unter der Leitung von Sarah Czirr und Jürgen Wiener vom Institut für Kunstgeschichte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf eine Tagung mit internationalen Gästen zu Ehren von Peter Brötzmann, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feierte, statt.

Die enge Zusammenarbeit mit Mitgliedern der Wuppertaler Free Jazz-Szene und die Integration von Veranstaltungen des Free Jazz in das Museumsgeschehen der frühen 1970er Jahre bestärkte die weitere Etablierung der radikalen Musik durch einen institutionellen Rahmen. Auch dienten die dortigen Konzerte dem Austausch und Aufeinandertreffen von Schaffenden verschiedenster Disziplinen, was in Einzelfällen zu fruchtbaren, längerfristigen Kooperationen führen konnte.

Julie Laval

„Das LOCH ist ein Ort der spartenübergreifenden Kunst; des Austauschs von wilden Gedanken und Ideen“; so beschreibt das Team des LOCH die Location, die wie etwa der ort und das Café ADA zu einem der wichtigsten Jazz-Standorte Wuppertals zählt: Hier sind beispielsweise schon Peter Brötzmann, Dietrich Rauschtenberger oder Hans Peter Hiby aufgetreten. Über den Jazz hinaus bietet das LOCH jedoch auch eine Bandbreite an musikalischen Angeboten – über Pop, Elektro und HipHop –, fungiert als Ausstellungsfläche für Kunst aller Art oder als Begegnungsstätte und Bar. 2010 gegründet und mehrmals umgezogen, befindet sich das LOCH seit 2017 im ehemaligen Bücherschiff in Wuppertal Elberfeld, unmittelbar am Stadtzentrum.

Die verschiedenen Flächen im LOCH, der große Hauptraum mit Bühne und Bar sowie einige kleinere Nebenräume und eine große Terrasse, bieten diverse Möglichkeiten für Ausstellungskonzepte und (Kunst-)Aktionen, darunter etwa die Ausstellung The Total Art/Music Meeting. Auf diese Weise können diese auch während des normalen Konzertbetriebs laufen, Workshops und Happenings stattfinden. Zum Selbstverständnis des LOCH gehört es, dass neben den Projekten des Teams auch Impulse von außerhalb aufgenommen und Material sowie Know-how bereitgestellt werden, damit Interessierte vor Ort Projekte und Ideen verfolgen und umsetzen können.

Auf die Corona-Pandemie als große Herausforderung für den Kulturbetrieb reagierte das LOCH mit einer Vielzahl digitaler Angebote unter der Rubrik LOCH-Funk, in dessen Rahmen Konzerte, Performances, Talks und Podcasts übertragen wurden. Auch Ausstellungen wurden so konzipiert, dass sie von außen gesehen werden konnten: So wurden etwa Videoarbeiten auf Monitoren abgespielt, die nach außen zeigend innen vor den Fenstern montiert waren. Trotz Lockerung der Richtlinien bleibt der LOCH-Funk auch weiterhin bestehen, jedoch finden genauso Formate wie die OFFEN:BAR – von jeweils wechselnden DJ-Sets begleitete Barabende freitags und samstags – wieder im LOCH statt.

„Und wer ist ‚wir‘? Das ist eigentlich nur ein anderes Wort für ‚ihr‘“ exemplifiziert die Einstellung des Teams gegenüber den Besucher:innen, die als Teil des Schaffensprozesses und Betriebs dazugehören.

Niklas Peine

 

Wuppertal war in den 1970er Jahren mit dem Auftauchen des Free Jazz eine feste Größe. Die dort ansässigen regionalen Musiker:innen bildeten einen Teil der europäischen Avantgarde, die internationale Musiker:innen nach Wuppertal zogen, um sich dort niederzulassen. Auch das Globe Unity Orchestra spielte in Wuppertal seine legendären Open-Air-Konzerte auf dem Laurentiusplatz.

1966 formierte der Jazz-Pianist und Komponist Alexander von Schlippenbach bei den Berliner Jazztagen das Globe Unity Orchestra, ein Ensemble aus europäischen Free Jazz-Musikern. Zwei Ensembles, das Peter Brötzmann-Trio und das Manfred-Schoof-Quintett, wurden zusammengefügt: zwei Schlagzeuger und zwei Bassisten, ergänzt um verschiedene europäische Musiker. Sie spielten gemeinsam Schlippenbachs Stück Globe Unity, das zum Namensgeber für das Ensemble wurde und die europäische Free Jazz-Tradition maßgeblich prägte.

Die Bandgeschichte des Globe Unity Orchestra ist bis in die 1980er Jahre in drei Phasen unterteilt, deren erste von Schlippenbachs Kompositionen geprägt ist und vom ersten Konzert 1966 bis in die 1970er Jahre reichte, als die Aktivitäten des Ensembles kurzzeitig unterbrochen wurden. Die zweite sog. Wuppertaler Phase mit offeneren Konzepten und auch performanceartigen Aufführungen ist bis 1977 wesentlich von der Beteiligung des Kontrabassisten und Tubisten Peter Kowald geprägt. Es wurden klassische Stücke aufgeführt und Fluxus-Elemente integriert sowie Kollaborationen mit anderen Ensembles eingegangen.

Eine besonders bemerkenswerte Aufführung wurde mit der Aufnahme Jahrmarkt dokumentiert, auf der das Globe Unity Orchestra zwei von Kowalds radikalen Kompositionen als Einrichtung im öffentlichen Raum – dem Laurentiusplatz in Wuppertal – aufführte. Die Möglichkeiten des öffentlichen Raums, auf den gemeinsam künstlerisch und sozial eingewirkt werden sollte, wurden ausgelotet, indem das Publikum aktiv und dynamisch in die Aufführungen eingebunden wurde.

In den folgenden fünf Jahren erreichte das Globe Unity Orchestra in Kowalds Heimatstadt einen hohen Bekanntheitsgrad und trat jedes Jahr bei den Wuppertaler Werkstätten auf. Gegen Ende der 1970er Jahre wurden neben freien Improvisationen wieder kompositorisch strenger geplante Stücke gespielt. Die bis heute andauernde dritte Phase ist fast ausschließlich von sich immer wieder verändernden Improvisationen anstelle fixierter Kompositionen geprägt.

Katrin Rollmann

"360° ist Summer aller Winkel“ – lautete der programmatische Sinnspruch, mit dem die 11 Gründungsmitglieder des „360°-Spielraum für Ideen“ im November 1979 den Auftakt einer neuen Wuppertaler Wirkungsstätte bildender Kunst einläuteten; hierzu zählten u.a. Michael Alles, Peter Brötzman, Gerd Hanebeck, Uwe Kahl, Achim Knispel, Peter Kowald, Dietrich Maus, Christiane Müller, Marianne von Santvoort, Jürgen Schmidt-Büchele. 

Fernab der etablierten Kulturlandschaft des Mainstreams, nahm sich die Gruppe im als Produzentengalerie genutzten Raum des Hinterhauses der Luisenstraße 63a vor, an das Programm der Galerie Parnass Rolf Jährlings anzuknüpfen. Die Winkel, die die Summe des knapp 25 Quadratmeter großen „Spielraums“ ergaben, bildeten sich, jeden Sontag wechselnd, mitunter aus Lesungen, (Jazz-)Konzerten, Vorträgen, Performances  und Ausstellungen, so beispielsweise Ute Klophaus, die hier ihre Fotografien von den Aktionen Joseph Beuys’ präsentierte oder ein vom lokalen Künstler Kahluwe geschaffenes Mural der Rolling Stones. Bildende Kunst und Musik – wie andernorts in Wuppertal, kamen auch hier beide Formen ästhetischer Betätigung zusammen. Peter Brötzmann stellte, entsprechend seiner Doppelbegabung, gemeinsam mit Achim Knispel aus, trat aber, neben Peter Kowald, La Donna Smith und Davey Williams ebenso als Jazzmusiker auf. Der musikalische Stellenwert des Spielraums für Ideen öffnete diesen auch für internationale Kontakte: Das Nimwegener Bürderpaar Klaus und Peter van de Locht, die Wuppertal noch aus ihren Studientagen an der hiesigen Werkkunstschule verbunden waren – Peter mittlerweile als Saxophonist und Freejazzer – gastierten hier ebenso wie die, aus der DDR stammenden und gleichfalls dem Freejazz zugehörigen Ulrich Gumpert und Günter „Baby“ Sommer.

Timm Schmitz

Der ort ist eng mit der Geschichte des Wuppertaler Jazz verbunden. Zwar wurde der Verein erst am 2. Dezember 2001, zwei Monate nach dem Tod des Musikers Peter Kowald gegründet, aber er existierte bereits vorher schon in idealer Form. 

Peter Kowald prägte zusammen mit Peter Brötzmann die Wuppertaler Free Jazz-Szene ab den 1960er Jahren wie kein anderer. Dass der Free Jazz sich nicht nur durch seine musikalischen Äußerungen, sondern auch durch Handlung, sei es im Alltag oder auf der Bühne, auszeichnet, zeigt sich bei Kowald besonders deutlich. Als Musiker, Organisator und als Mensch prägte Kowald nicht nur die Stadt, sondern auch die Region und die Republik. Dies bezeugen auch jene engagierte, prominente Vereinsmitglieder aus Kunst und Kultur, wie der Bildhauer Tony Cragg, die 2009 verstorbene Pina Bausch oder der Free Jazz-Musiker Günter „Baby“ Sommer. Neben seinen musikalischen Tätigkeiten brachte Kowald sowohl in Wuppertal als auch in New York, wo er lange Zeit lebte und auch starb, Menschen für „das große Gespräch“ – ganz im Sinne von Beuys‘ Konzept der sozialen Plastik – zusammen. Ziel des heutigen Vereins im ehemaligen Atelier von Kowald in der Luisenstraße 116 ist es, die Ideale und die Ambitionen von Kowald zu bewahren und weiterzuführen. So finden im ort Konzerte mit verschiedensten Musiker:innen und Gruppen, Ausstellungen, Tanzaufführungen und regelmäßige Filmabende statt. Dass Wuppertal auch weiterhin ein Ort des kulturellen Austausches bleiben soll, lässt sich wohl am besten an der Idee erkennen, dass ein bis zweimal im Jahr Kowalds Atelier mit Hochbett, Dusche und Küche für auswärtige Künstler:innen zur Verfügung gestellt wird. Ganz im Sinne des Free Jazz und Peter Kowalds, ist das was zählt nicht das Ergebnis, sondern jener lebendige Prozess, in dem Grenzen verschoben werden und Menschen sich begegnen, um Neues zu erdenken und zu erproben.

Jonas Keck

Beinahe zwanzig Jahre lang, von 1949–1965, war eines der Zentren der Fluxus-Bewegung die Galerie Parnass in Wuppertal. Gleitet wurde sie von Rolf und Anneliese Jährling. Zunächst in der Elberfelder Innenstadt angesiedelt, zog die Galerie 1961 in die Moltkestraße 67 in eine Stadtvilla im Briller Viertel. Die Wohnung der Jährlings befand sich im Obergeschoss, was auf die enge Bindung und ihr Engagement zur Galerie schließen lässt. Auch der Name – Parnass – verdeutlicht die Ambition hinter dem Betrieb, denn er ist zugleich auch der Name des antiken Musenberges und Sitz des Apoll. In ähnlichem Gestus bemühte sich die Galerie bereits kurz nach 1945 um eine Vermittlung von Gegenwartskunst. Dementsprechend breit gefächert war das Ausstellungsprogramm. Es reichte von Plastik, Malerei und Photographie über Architektur und Bühnenkunst zu Vorträgen, Diskussionen, Lesungen und Happenings. 

Ihren nachhaltigen Platz in der Kunstgeschichtsschreibung verdient die Galerie mit ihrer Tätigkeit als Fluxus-Galerie. Hier fanden zentrale Veranstaltungen der Bewegung wie Kleines Sommerfest – Après John Cage (1962), Exposition of Music – Electronic Televison (1963) von Nam June Paik, der dort erstmals manipulierte Fernsehgeräte präsentierte, Wolf Vostells 9-Nein-Décollagen-Happenig (1963) und das 24-Stunden-Happening (1965) statt. Peter Brötzmann assistierte Paik in dieser Zeit und wurde so Teil dieser Kunstszene. Das 24-Stunden-Happening stellt den Höhe- und Wendepunkt der Bewegung dar. Die wichtigsten europäischen Vertreter:innen wie Jospeh Beuys, Charlotte Moorman, Nam June Paik, Wolf Vostell und Bazon Brock bespielten alle Räume der Galerie und leiteten als Abschiedsveranstaltung auch das Ende der Galerietätigkeiten ein. Die Galerie Parnass schloss im September 1965.

Jonas Keck

Seit über 30 Jahren befindet sich in Wuppertal das Café ADA (türkisch für „Insel“) in der Wiesenstraße, geführt vom Inhaber Mehmet Dok. Neben den dort angebotenen türkisch-mediterranen und veganen Gerichten ist das ADA vor allem für seine kulturellen Veranstaltungen bekannt und ist eng mit der Wuppertaler und internationalen Jazz-Szene sowie der Tanz- und Theaterszene verbunden. Dies zeigt sich durch die Auftritte international bekannter Musiker seit vielen Jahren. Seit fast 20 Jahren findet im ADA das Wuppertaler Jazzmeeting, veranstaltet von der Jazz AGe Wuppertal, statt, bei welchem besonders Musiker:innen aus der Umgebung Beachtung finden.

Auch Peter Brötzmann spielte regelmäßig im Café ADA: Zu seinem 70. Geburtstag 2011 trat er hier in unterschiedlichen Besetzungen mit seinem Chicago Tentet auf. 2014 kam es zu einem Auftritt während der Europatournee seines Trios mit Jason Adasiewicz und Steve Noble im Café ADA. Mit diesen beiden Musikern aus Großbritannien und den USA sowie dem Bassisten John Edwards, ebenfalls aus Großbritannien, trat er als Quartett zu seinem 75. Geburtstag, organisiert von der Jazz AGe, im ADA auf. Auch zu seinem 80. Geburtstag 2021 wurde er hier mit einem dreitägigen Festival gewürdigt. 

Im November 2002 spielten Charlie Mariano, Barre Philipps und Günter „Baby“ Sommer hier eine Hommage to Peter Kowald, einem weiteren international bekannten Musiker, Gründungsmitglied der Jazz AGe Wuppertal und wichtiger Akteur der Jazz-Szene, welcher in diesem Jahr verstorben war.

Dieser internationale und künstlerisch kooperative Anspruch drückt sich auch in den weiteren zahlreichen Veranstaltungen aus. Durch den Förderverein MARE e. V. sowie dem neu entstandenen gemeinnützigen Trägerverein INSEL e. V. finden im ADA eine Bandbreite an internationalen und kulturellen Veranstaltungen statt. Dazu gehören zeitgenössische Tanzperformances, Auftritte von lokalen Rock- und Popbands oder „Meistern der türkischen und griechischen Folklore“, Tango- und Salsaabende und Literaturveranstaltungen wie Literatur auf der Insel, welche seit 2014 im ADA stattfindet. Generell bietet das Café ADA einen Ort für künstlerischen Austausch und die Entwicklung neuer Konzepte, besonders in den Bereichen Musik und Tanz, wie es dort seit Jahren Tradition ist.

Annika Hardy

November 1974: Der bedeutende Jazzpianist Keith Tippett und die Sängerin Julie Driscoll haben ihren Auftritt beim Eröffnungswochenende des Kommunikations- und Kulturzentrums die börse, das vom linksalternativen Verein Kommunikationszentrum Wuppertal e. V. gegründete wurde. Es wird in den folgenden drei Jahren ein zentraler Ort für Jazzkonzerte in Wuppertal. Bis zur Brandnacht im Oktober 1977 werden hier neben internationalen Jazzgrößen renommierte und junge regionale Künstler:innen aufeinandertreffen und auftreten.

Das Kommunikationszentrum die börse entstand 1974 vor dem Hintergrund radikaler sozialer Veränderungen, die von einem starken politischen Bewusstsein und weltweiten Protestbewegungen gegen Krieg und für mehr Gleichberechtigung geprägt sind. Die Menschen rücken ab von Parlamenten und repräsentativen Demokratiemodellen und wenden sich stattdessen basisdemokratischen Strukturen zu. Die börse gehört zur ersten Generation der soziokulturellen Zentren in Deutschland und kann als ein Ausdruck von sozialem und kulturellem Wandel der Gesellschaft gesehen werden. Sie ist ein frühes Symbol dieser basisdemokratischen Organisationen und der Alternativbewegung und steht für neue experimentelle Emanzipations- und Gestaltungsräume. Mit Formaten wie der AG Jazz in der börse (später unter dem Namen Jazz AG bzw. Jazz AGe) oder der Jazz’O’thek wurden traditionelle institutionelle Herangehensweisen verlassen und ein Ort für kulturelle Teilhabe geschaffen. Gleichgesinnte sollten das Programm mitdiskutieren und Konzerte organisieren.

Von Anfang an ist die börse fester Bestandteil und eine Bereicherung des Wuppertaler Kulturlebens – als Bühne, Diskussionsforum und Ort für Ideen. Der Börsenbericht 1976 verzeichnet im ersten Jahr bereits einen Erfolg mit 37.000 Besucher:innen. In diesem Jahr wurden 360 Veranstaltungen durchgeführt, es entstanden 11 verschiedene Arbeitsgruppen und 14 Gastarbeitsgruppen. Hier fanden sowohl kulturelle als auch politische Veranstaltungen statt, Künstler:innen konnten die Räume für Proben nutzen, etablierte und junge Jazzmusiker:innen wurden von den Programmgestaltern Ernst Dieter Fränzel und Rainer Widmann eingeladen. Künstler wie Charles Mingus im Quintett, Barney Kessel, Gunther Hampel oder Ralph Tower machen die börse über Wuppertal hinaus bekannt. Neben Auftritten international populärer Musiker:innen und Gruppen lag ein Schwerpunkt der börse aber auch auf regionalen Künstler:innen. Vor allem war sie allen neuen und zeitgenössischen Musikformen gegenüber aufgeschlossen.

1977 kam es zu einem Brand, woraufhin die börse dann Räumlichkeiten am Hofkamp 82-84 in der Elberfelder Innenstadt bezog und sich der Mythos von der börse, die nicht kleinzukriegen sei, etablierte. Erst 1981 konnte das alte Gebäude an der Viehhofstraße wieder genutzt werden. Das Vorhaben der Gründungsmitglieder, „die Begegnung von Menschen aller Berufsgruppen, aller Altersgruppen und sozialen Schichten zu ermöglichen, Kritikfähigkeit, Initiative und kreative Besätigung anzuregen und soziales Verhalten zu fördern“ besteht bis heute. Heute ist die börse mit ca. 60.000 Besucher:innen pro Jahr fester Bestandteil des kulturellen Lebens der Stadt Wuppertal.

Katrin Rollmann

Abseits der über Jahrzehnte etablierten Wirkungsstätten des Wuppertaler Free Jazz begründete sich auf einem mehr als 14 Hektar umfassenden Waldgebiet in Wuppertal Hesselnberg im Jahr 2009 einer der jüngsten Experimentierräume des internationalen Jazz in Wuppertal.

Das Gelände der Villa Waldfrieden hat der britische Bildhauer Tony Cragg, der in Wuppertal lebt und arbeitet, 2006 als private Ausstellungsfläche seiner Monumentalplastiken erworben und nach einer Umgestaltung und Modernisierung der Anlage unter die Trägerschaft einer gemeinnützigen Stiftung gestellt und öffentlich zugänglich gemacht. Seit seiner Eröffnung im Jahr 2008 beheimatet der Skulpturenpark Waldfrieden, der sich u. a. mit seinen neu angelegten Sichtachsen am Prinzip des englischen Landschaftsgartens orientiert, 23 Arbeiten Craggs sowie 17 weitere Skulpturen der Moderne und Gegenwartskunst, darunter Arbeiten von Henry Moore, Thomas Schütte und Jaume Plensa. Den Kern der Anlage bildet der ehemalige Wohnsitz des Chemieunternehmers Kurt Herberts, der sich nach der Zerstörung des Vorgängerbaus im Zweiten Weltkrieg vom Architekten Franz Krause eine Villa in organischen Formen errichten ließ und dort bis zu seinem Tod im Jahr 1989 lebte. Hier, aber auch in drei weiteren, über die Jahre sukzessiv errichteten Ausstellungshallen finden Wechselausstellungen, kulturwissenschaftliche Vorträge, Filmvorstellungen und Konzerte statt.

Die weitläufige Außenanlage dient den Besucher:innen nicht nur als Ort der Auseinandersetzung mit Kunst und Natur, sie ist auch Schauplatz für jährlich stattfindende musikalische Interventionen: Neben Tonleiter, einer Veranstaltungsreihe mit Konzerten zeitgenössischer Musik, welche Gerald Hacke – seines Zeichens Mitglied des Sinfonieorchesters Wuppertal – im Austausch mit Tony Cragg ins Leben gerufen hat, ist regelmäßig das KlangArt-Festival in den Weiten des Freilichtmuseums beheimatet. Ins Leben gerufen und über 10 Jahre kuratorisch geleitet wurde KlangArt durch den Wuppertaler Kultur- und Medienpädagogen Ernst Dieter Fränzel; seine Nachfolge trat im Jahr 2019 Maik Ollhoff an, Gründer und Leiter des Kulturorts LOCH in Wuppertal. In einer Reihe von Open Air- und Wandelkonzerten werden Wald und Ausstellungsbauten des Skulpturenparks jährlich von Frühjahr bis Herbst zur Bühne internationaler Musiker:innen der improvisierten Musik, der Weltmusik, des zeitgenössischen Jazz und der Neuen Musik.

Dem Wuppertaler Musiker und Künstler Peter Brötzmann widmete Fränzel im Jahr 2014 gleich mehrere Veranstaltungstage: Gemeinsam mit Steve Noble (Schlagzeug) trat Brötzmann (Saxofon, Klarinette) im Ausstellungspavillon des Parks unter dem Titel Conversation auf. Am Folgetag feierte zudem der Dokumentarfilm Soldier of the road – A portrait of Peter Brötzmann (Regie: Bernard Josse, Kamera: Gérard Rouy) seine deutsche Erstaufführung. Der Film, welcher über Interviews mit Brötzmann, aber auch Weggefährten wie Han Bennink, Ken Vandermark und Evan Parker seinen privaten sowie künstlerischen Werdegang nachzeichnet, diente als Grundlage für eine anschließende Diskussionsrunde in Anwesenheit des Künstlers. 

Das Konzept der Verschränkung von Kunst und Musik, welches am Gesamtwerk Brötzmanns exemplifiziert werden kann, nimmt in Craggs Skulpturenpark, eingebettet in einen Naturkontext, eine zentrale Rolle ein. Dass sich der Gründer des Parks auch auf persönliche Weise in seiner Kunst mit der lokalen Geschichte des Free Jazz auseinandersetzt, zeigt die Lithographieserie Waldzimmer, welche Cragg 2011 der Peter Kowald gesellschaft/ort e. V. Wuppertal widmete.

Der Skulpturenpark hat sich seit seiner Gründung mit seinem musikalischen Rahmenprogramm und seinen besonders geförderten Verflechtungen von Musik, Kunst und Natur als ein intergenerationeller Begegnungsraum für die Wuppertaler Jazz-Szene und deren internationale Ausläufer entwickelt.

Julie Laval

Die Werkkunstschule Wuppertal, Vorgängerinstitution der Bergischen Universität, welche in den späten 1940er Jahren aus der Barmer Kunstgewerbeschule entstand, hatte eine enge Verbindung zu der aufkommenden Wuppertaler Free Jazz-Szene. Mehrere der Musiker, darunter Peter Brötzmann, studierten an der Werkkunstschule in Bereichen wie Werbegrafik und Grafik/Design.

1949 wandelt Jupp Ernst die bisherige Wuppertaler Meisterschule des gestaltenden Handwerks, deren Direktor er im vorherigen Jahr geworden war, in eine Werkkunstschule um. Dafür strukturierte er die Lehre und den Aufbau der Institution neu und veränderte diese nach dem Vorbild des Bauhauses der Vorkriegsjahre. Wesentliche Bestandteile dessen waren zum Beispiel die Einstellung Werner Schriefers, einem Studenten Georg Muches, dessen Lehrkonzepte und Sichtweisen die Studierenden der Werkkunstschule geprägt haben sowie die Integration eines weiteren Bereichs: das Institut für Industrieform (Industrial Design). 

Peter Brötzmann bewarb sich mit 18 Jahren, nachdem er die Schule abgebrochen hatte, an der Werkkunstschule in Wuppertal und begann dort ein Studium der Werbegrafik. Er beschäftigte sich in dieser Zeit auch tiefgehend mit Malerei und anderen Formen bildender Kunst, wodurch ein vielfältiges bildnerisches Werk entstand. Darüber entwickelten sich auch Verbindungen und Kontakte zur Kunstszene, welche Einfluss auf seine Musik hatten. Besonders die Galerie Parnass und die Assistenz bei Nam June Paik beschreibt er selbst als wichtigen Einfluss auf seine Musik. Als Musiker und Vertreter des Free Jazz international bekannt, war und ist er zeitgleich auch immer bildender Künstler. 

Ende der 1960er Jahre zogen Hans Reichel und Achim Knispel nach Wuppertal, um an der Werkkunstschule zu studieren. Beide spielten später mit Uli Weiche in dem Trio Horizon Cee. Auch der holländische, aber in Wuppertal aktive Sopransaxophonist Henk van Oirschot stand in enger Verbindung zur Werkkunstschule: Er arbeitete dort als Goldschmied. 

Viele der ersten öffentlichen Auftritte fanden in Stammkneipen der Kunststudierenden oder auf dem Karnevalsfest der Werkkunstschule, der Mondschaukel, mit den Studierenden als Publikum statt. 

Annika Hardy

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