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Madrid 2019

Von Katzen und Störchen. Einige Anmerkungen zur Jahresreise 2019 nach Kastilien

Von Katzen und Störchen. Einige Anmerkungen zur Jahresreise 2019 nach Kastilien

Nachdem Mitglieder des Freundeskreises vor zwei Jahren auf einer Reise nach Lissabon und Mittelportugal die Schönheiten Portugals entdeckt hatten, wurden in diesem Jahr Madrid und Kastilien zum Ziel der Jahresreise ausgewählt.
Im ersten Teil der Reise besuchten wir Toledo und die großen Museen in Madrid, im zweiten Teil den Escorial sowie die Städte Avila, Segovia und Salamanca.
Die größte Sehenswürdigkeit von Toledo ist vielleicht für jeden, der zum ersten Mal die Stadt besucht, das Stadtpanorama, das sich von der anderen Seite des Flusses bietet. Vergleicht man das heutige Panorama mit El Grecos berühmtem Gemälde “Toledo bei Gewitter“, so wird man trotz des Abstandes von vierhundert Jahren kaum Unterschiede feststellen können – die Zeit scheint stehengeblieben zu sein. In der Stadt ist die größte Sehenswürdigkeit zweifelsfrei die gotische Kathedrale Maria Himmelfahrt. Dem Grundriss nach handelt es sich um eine fünfschiffige Basilika ohne Querschiffe, aber mit einem weit ins Mittelschiff vorgezogenen Chor und mit für gotische Kirchen ungewöhnlich breiten Jochen. Auch der Wandaufbau entspricht nicht der Hochgotik. Die Wandgliederung ist zweizonig, die Wand hat kein Triforium, besitzt dafür mit einer Höhe von 17 m sehr hohe mittlere Seitenschiffe. Dadurch könnte man die Kathedrale in Toledo auch als Staffelbasilika charakterisieren, die bezüglich ihrer Raumwirkung an die Kathedralen von Bourges und Le Mans erinnert.
Von den anderen religiösen Bauwerken der Stadt sind vor allem der zweistöckige Kreuzgang des Klosters San Juan de los Reyes hervorzuheben und die kleine Kapelle der unbefleckten Empfängnis in  der Kirche Santo Tomé, in der El Grecos berühmtes Gemälde „Das Begräbnis des Grafen von Orgaz“ hängt.
Eingebettet war der Ausflug nach Toledo in zwei Madrid-Tage, an denen die großen Museen, erst der Prado, dann Reina Sofia, schließlich die Sammlung Thyssen-Bornemisza und das königliche Stadtschloss besichtigt wurden. Am ersten Tag in Madrid konnte die Führung angesichts der ca. 1500 Gemälde, die im Prado ausgestellt sind, trotz einer fast zweistündigen Dauer nur einen ersten Eindruck vermitteln. Schwerpunkte der Führung waren Werke der Renaissance und Beispiele von Goyas Schaffen. Zur Erinnerung: Besprochen wurden u. a. „Die Kreuzabnahme“ von van der Weyden, „Der Heuwagen“ von Bosch, „Adam und Eva“ von Dürer, „Der Triumpf des Todes“ von Bruegel, sowie die beiden „Majas“ und „Die Erschießung der Aufständischen“ von Goya. Am Nachmittag desselben Tages standen wir im Reina Sofia vor Picassos „Guernica“. Welches Bild war eindrucksvoller? Ich weiß es nicht.
Am zweiten Tag in Madrid standen im Thyssen-Bornemisza ebenfalls Gemälde der Renaissance im Mittelpunkt einer sehr sachkundigen Führung. Besprochen wurden u. a. Fragmente einer „Kreuzigung“ von Baegert, „La Bella“ von Palma il Vecchio, „Frau im roten  Rock“ von Altdorfer und „Die heilige Katharina mit dem Rad“ von Caravaggio.
Da in der Zeit unseres Madrid-Besuchs in einer Sonderausstellung im Thyssen-Bornemisza Werke von Balthus gezeigt wurden, einem Maler mit deutsch-polnischen Wurzeln, der aber in Deutschland noch weitgehend unbekannt und in keinem deutschen Museum mit einem Bild vertreten ist, haben wir die Gelegenheit genutzt und die Retrospektive in die Führung einbezogen. Balthus (geb. 1908 in Paris und gestorben 2001 in der Schweiz) malte Landschaften und Porträts, Katzen und sehr junge Mädchen. Er liebte Katzen seit seiner Jugend, hat sie immer wieder gemalt und in Gemälde eingefügt (oder auch wieder getilgt) und bezeichnete sich in einem Selbstporträt aus dem Jahr 1935 als König der Katzen. In jenen Jahren hatte er in Paris seine ersten Erfolge, erwarb sich einen Ruf als Porträtmaler (Picasso kaufte eines seiner Porträts) und liebte es, Anspielungen auf alte Meister mit Provokationen zu vermischen. Breton versuchte, ihn für den Surrealismus zu gewinnen, aber Balthus hielt sich fern, er wollte sich in keine Schublade stecken lassen.
In Madrid waren 40 Bilder ausgestellt, darunter drei seiner Hauptwerke: „Die Straße“, „Die schönen Tage“ und das Spätwerk „Die Katze mit dem Spiegel 3“. (Übrigens wurde die Werkschau bereits im vergangenen Jahr in der Fondation Beyeler in Basel gezeigt und anschließend vom Thyssen-Bornemisza übernommen.) Leider fehlte in Madrid das beste Gemälde aus der Reihe träumender junger Mädchen, „Der weiße Rock“, in Basel wurde es noch gezeigt. Auf eine Beschreibung dieser Bilder möchte ich hier verzichten, sie würde den Rahmen der Anmerkungen sprengen. Abbildungen und Links zu Besprechungen sind leicht im Internet finden, z. B. bei Google Bildern. Wer sich näher mit dem Werk von Balthus und seiner Vorliebe für junge Frauen beschäftigen möchte, sollte zu dem Katalog „Balthus. Cats and Girls“ einer Ausstellung im Metropolitan Museum New York im Jahr 2013 greifen. Die deutschsprachige Ausgabe erschien bei Schirmer/Mosel.
Auf der Fahrt nach Salamanca machten wir zwei Zwischenhalte - erst in San Lorenzo, dann in Avila.
In San Lorenzo besichtigten wir den Escorial. Das riesige Bauwerk (die schmucklose Hauptfassade ist 200 m lang und 160 m breit) wurde aus dunklem Granit gebaut und macht mit seiner Monotonie einen kalten, strengen und abweisenden Eindruck. Der Innenbereich ist dagegen vielfach gegliedert und umfasst 16 Innenhöfe, 12 Kreuzgänge, 88 Brunnen und 86 Treppen. Viele Zimmer sind reich an Gemälden und mit sonstigen Kunstwerken ausgestattet. Besonders beeindruckend ist das Pantheon (die Begräbnisstätte) der Könige und der königlichen Familie seit Karl V. Es liegt direkt unter dem Hauptaltar der Klosterkirche.
Avila ist berühmt für seine vollständig erhaltene Stadtmauer mit fast 90 Türmen. Die Stadtmauer wurde erst nach der Befreiung von den Mauren erbaut und nie in einem Krieg auf ihre Standfestigkeit hin geprüft. Das größte Abenteuer, das sie bisher erlebte, war vermutlich ihre Rolle in einem Hollywood-Film aus dem Jahr 1957 mit Cary Grant, Sophie Loren und Frank Sinatra mit dem Titel „Stolz und Leidenschaft“. Die Handlung spielt in der Zeit der napoleonischen Befreiungskriege und erzählt die Geschichte einer großen Kanone, die quer durch Spanien nach Avila geschleppt wird, um eine Bresche in die Stadtmauer zu schlagen, weil sich dort die Franzosen verschanzt haben.
Von Salamanca aus besichtigten wir am nächsten Tag Segovia. Die sehr alte Stadt liegt zwischen zwei Flüssen malerisch auf einer Felszunge, deren westliche Spitze für den Bau eines Alcazars genutzt wurde. Burg und Kathedrale sind neben den Resten des römischen Aquäduktes die größten Sehenswürdigkeiten der Stadt, die man auf einer Kastilien-Rundfahrt unbedingt besuchen sollte.
Der vorletzte Tag unserer Fahrt war Salamanca vorbehalten. Wir besichtigten die zugänglichen Räume der Universität sowie die alte und die neue Kathedrale. Von außen betrachtet ergeben die nebeneinander liegenden Kirchen mit ihren unterschiedlichen Türmen ein prächtiges Ensemble. Bei der Begehung finden sich jedoch Schwächen. Der Grundriss der neuen Kathedrale von Salamanca ist mit dem der Kathedrale in Segovia fast identisch. Der Hauptunterschied liegt in der Gestaltung des Chors. Während der Chorabschluss in Segovia mit absidalen Kapellen dem klassischen französischen Vorbild folgt und mit dem der Kathedrale von Beauvais identisch ist, wurde in Salamanca als Ostabschluss eine durchgehende gerade Wand ohne Absiden gebaut – leider keine glückliche Lösung.
Zum Abschluss unserer Reise besichtigten wir in Salamanca noch das Kloster San Esteban und wurden von einer großartigen plateresken Fassade überrascht. Meine größte Überraschung waren dagegen kein Museum und keine Kirche, sondern Störche. Auf dem Dachfirst von Gebäuden am Großen Platz in Salamanca und in Baumwipfeln vor der Burg in Segovia brüteten Storchenpaare, deren Junge die Benutzung ihrer Schwingen übten, sich aber zu fliegen noch nicht trauten. Seit meiner Kindheit hatte ich dergleichen in der freien Natur nicht mehr gesehen.

(Text: Eric Gutzler im Juni 2019)

 

 

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