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Exkurison Städelmuseum

Annäherung an ein altes Thema: den Kampf der Geschlechter

Vor zwanzig Jahren zeigte die Städtische Galerie im Münchner Lehnbachhaus eine Ausstellung mit dem Titel: Der Kampf der Geschlechter. Versammelt waren 140 Werke (Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphik-Serien und einige Skulpturen) hauptsächlich aus der Zeit zwischen 1880 und 1920.
Werke von Stuck, Munch, Klinger, Redon, Rops und Moreau bildeten die Schwerpunkte. Die Bildauswahl war breit, brachte aber wenig Überraschungen, die meisten Gemälde und die Druckgraphik-Serien (von Klinger, Kubin und Vallotton) waren ziemlich bekannt. Lediglich der Umfang provokanter Zeichnungen von Félicien Rops dürfte manchen Besucher schockiert haben.
Begründet wurden Konzept und Werkauswahl der Ausstellung mit den Strömungen der Zeit des 19. Jahrhunderts: den gängigen Diskriminierungen der Frau (durch Schopenhauer usw.), der Ausbreitung des Symbolismus, der Erfindung der Femme fatale, den Spannungen aufgrund der Rechtsstellung der Frau im Deutschen Kaiserreich sowie den einsetzenden Gegenbewegungen zur Frauenemanzipation.
Jetzt hat das Frankfurter Städelmuseum das Thema aufgegriffen und präsentiert unter dem ähnlichen Namen „Geschlechterkampf“ rund 200 Kunstwerke aus vergleichbarem Zeitraum. Ergänzend werden Filmausschnitte gezeigt, und der Endpunkt wurde bis ins Jahr 1949 hinausgeschoben. Die Auswahl der Künstler für die Zeit um die Jahrhundertwende ähnelt der Münchner Ausstellung – mit der Ausnahme von Redon, der in Frankfurt nicht berücksichtigt wurde.
Gezeigt werden die Werke in zwölf Räumen, die jeweils entweder einem einzigen Künstler wie Stuck, Munch, Rops oder der Fotografin Lee Miller gewidmet sind oder ein besonderes Thema wie z. B. Adam und Eva, Sphinx, Tödliche Verführung, Schock des Realen, Hure oder Heilige, Lustmord und Prostitution, Rollenbilder im Wandel (über die 20er Jahre) oder Sexualität im Surrealismus behandeln.
Die Ausstellung beginnt mit einer Adam-und-Eva-Darstellung. Während in München zu dem Thema ein Gemälde von Ludwig Thoma zu sehen war, auf dem sich der Tod mit bereits aufgespanntem Leichentuch als dritte Person eingefunden hat, zeigt Frankfurt ein Bild von Franz von Stuck, das nicht zu seinen besten Werken gehört. (Evas Körper ist knabenhaft schlank, fast androgyn, und die blaue Schlange, die Adam den Apfel in ihrem Maul präsentiert, sieht eher wie ein Strickstrumpf aus.) Entschädigt wird der Besucher durch ein Bild des Dänen Julius Paulsen, das die erste Begegnung von Adam und Eva zeigt. Erstaunen und Neugier sind perfekt gemalt. Betrachtenswert sind auch eine „Lilith mit Schlange“ (Adams erste Frau; Symbol der Emanzipation) von John Collier und eine Apfelszene von Suzanne Valadon, wobei die Blicke Fragen aufwerfen. Adam schaut nämlich unbeteiligt und leicht verbissen ins Irgendwo, als ginge ihn alles nichts an, und Eva pflückt zwar gerade den Apfel, blickt aber pausbäckig nach oben ins Geäst des Baumes. (In dem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass die „modernste“ malerische Fassung von Adam und Eva viel älter ist, ich meine das Diptychon von Dürer im Prado mit bemerkenswerten Details: Adam und Eva stehen hier nicht nebeneinander in einem Bild, sondern sind getrennt, jeder steht für sich allein; Eva pflückt den Apfel nicht, die Schlange hat ihn gepflückt und präsentiert ihn ihr im Maul; Eva hat nach dem Apfel gegriffen, aber übergibt ihn Adam nicht; doch der Apfel taucht ein zweites Mal auf, Adam hat ihn schon und hält den abgebrochenen Zweig, an dem der Apfel hängt, mit gespreizten Fingern fest, die andere Hand ist in Abwehrhaltung; unentschlossen und voller Unsicherheit blickt er nach Eva; aber wie und wohin blickt sie? Ihr Blick ist vieldeutig, abwartend, neugierig, selbstbewusst, ziemlich emanzipiert.)
Der zweite Raum ist der Sphinx gewidmet. Wie schon in München wird auch in Frankfurt von Gustave Moreau eine Spätfassung des Themas „Ödipus und die Sphinx“ gezeigt. Keine glückliche Wahl: Ingres und Moreau in einer früheren Version haben die Gestalt der Sphinx besser getroffen. (Eine Sphinx zu malen, ist offensichtlich ein schwieriges Unterfangen. Auch Khnopffs bekannter Versuch ist nicht so recht gelungen.) In diesen Raum hätte ein weiteres Werk von Stuck gut gepasst: Der Kuss der Sphinx. In diesem Hauptwerk aus dem Jahr 1895 ist der Mann nicht mehr der Bezwinger der Sphinx, sondern willenloses Opfer des zwitterhaften Ungeheuers, der diesen Zustand aber wohl mit Lust genießt. Hier hat Stuck eine neue Radikalität erreicht, die ihn in die Nähe Munchs bringt. Stattdessen werden zusätzlich andere weibliche Killerinnen gezeigt: eine Salome mit dem Kopf des Johannes, eine Klytämnestra mit der Mordwaffe und noch blutbeflecktem Gewand sowie eine Horde von Mänaden. Pentheus ist schon auf der Flucht. Aber die Geschichte geht bekanntlich nicht gut für ihn aus.
Der nächste Raum ist Franz von Stuck ganz vorbehalten und zeigt unter anderem eine Version seiner „Sünde“, eine „Verwundete Amazone“ und eine „Judith“, die dabei ist, Holofernes den Kopf abzuschlagen. Ihr genüssliches Lächeln vor dem Mord passt aber gar nicht zu der biblischen Geschichte der gottesfürchtigen Witwe.
Der Femme fatale huldigen Klinger, Kubin, Beardsley, Mossa und ein halbes Dutzend weiterer Künstler, die man nicht unbedingt kennen muss. Am eindrucksvollsten vielleicht Gustav Adolf Mossa mit dem Gemälde „Sie“, einer Kindsfrau, die auf einem blutigen Leichenberg thront.
Einen eigenen Raum, an dessen Eingang der Führer unserer Gruppe schnell vorbeiging, hat der Belgier Félicien Rops erhalten. Zu sehen sind dreizehn Zeichnungen, darunter sein Hauptwerk „Dame mit Schwein“: Mit hoch erhobenem Haupt, aber verbundenen Augen führt eine weitgehend nackte, nur mit schwarzen Strümpfen und schwarzen Handschuhen bekleidete Frau ein rosiges Schwein mit Ringelschwanz an der Leine spazieren. Aus Gründen der guten Sitten sei hier auf eine Beschreibung der übrigen Bilder von Rops verzichtet.
Zu den Überraschungen der Frankfurter Ausstellung gehören Jeanne Mammen und Lee Miller. Von der Berliner Künstlerin Jeanne Mammen (1890 bis 1976) hatte ich vorher nie gehört. Die ausgestellten symbolistischen Aquarelle stammen alle aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und erinnern teilweise an Motive von Rops. Lee Miller (1907 bis 1977) war eine amerikanische Fotografin, die den Vormarsch der US-Army am Ende des zweiten Weltkriegs begleitete und im Auftrag der Vogue Aufnahmen der zerstörten deutschen Städte machte. Berühmt wurde ein Foto eines Kollegen, der sie im April 1945 in der Badewanne Hitlers in dessen Münchner Wohnung  aufgenommen hatte. Die meisten der in der Frankfurter Ausstellung gezeigten Fotos stammen jedoch aus der Zeit um 1930 und besitzen einen surrealistischen Einschlag – was nicht verwundert, wenn man weiß, dass Miller in der Zeit mit Man Ray in Paris gelebt und gearbeitet hatte.
Einen eigenen Raum hat auch Edvard Munch erhalten. Bekannte und unbekannte Gemälde kreisen um Liebe, Schmerz und Eifersucht.
Unter dem Titel „Der Schock des Realen“ werden unterschiedliche Künstler mit unterschiedlichen Themen präsentiert. Darunter Corinth, Kollwitz, Liebermann, Slevogt und v. Keller. Die 20er Jahre werden in Werken von Dix, Höch, Hubbuch, Kokoschka und anderen nur lückenhaft gespiegelt.
Das Thema „Sexualität im Surrealismus“ bildet den Abschluss der Ausstellung. Zu sehen sind ein Meisterwerk von Max Ernst, die „Einkleidung der Braut“ und seine in einem Wettbewerb mit Dali entstandene „Versuchung des heiligen Antonius“, außerdem u. a. Versionen der Puppe von Hans Bellmer, Fotos von Man Ray, „Der kleine Hirsch“ von Frida Kahlo und als abschließendes Bild „Das Ende der Welt“ von Leonor Fini aus dem Jahr 1949.
Es fiel mir bei dem Besuch schwer, in den Räumen, die das Ausstellungsthema mit Kunstwerken des zwanzigsten Jahrhunderts darstellen, eine klare Linie zu finden, und bei mehr als einem Bild konnte ich den Bezug zum Thema nicht erkennen. Vielleicht wäre weniger mehr gewesen. Andererseits fehlen Schlüsselwerke für die 20er Jahre und die „Neue Sachlichkeit“ wie z. B. „Domina mea“ von Rudolf Schlichter, „Selbstbildnis“ von Christian Schad, „Freundinnen“ von Franz Radziwill und „Vorstellung“ von Niklaus Stoecklin.
(Text von E. Gutzler im Februar 2017)

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