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Lissabon 2017

Lissabon und Krefeld

Zwei Museen wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten

Von: Eric Gutzler


In diesem Sommer hatten wir Gelegenheit, kurz nacheinander zwei sehr unterschiedliche Museen zu besuchen; zum einen während einer Portugal-Reise das Calouste Gulbenkian Museum in Lissabon und zum anderen das wiedereröffnete Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld mit der Sonderausstellung „Das Abenteuer unserer Sammlung II“.

C. Gulbenkian (1869 bis 1955) war ein aus Armenien stammender Ölhändler, der bis zu seinem Tod eine Sammlung von über 5000 Kunstobjekten (Gemälden, Skulpturen, Teppichen, anderen Textilien und Keramiken) zusammengetragen hatte. Testamentarisch vermachte er seine Sammlung und sein Vermögen dem portugiesischen Staat mit der Maßgabe, ein Museum für seine Sammlung zu errichten. Das Museum wurde in den 60er Jahren in einem kleinen Park nördlich des Stadtzentrums gebaut. Äußerlich macht das Gebäude nicht viel her: Es entspricht dem Stil der Zeit, der Eingang ist unscheinbar, und lange Betonbänder betonen die Horizontale. Man könnte das Ensemble auch für ein Verwaltungsgebäude oder eine Schule halten. Im Innern wird man aber durch eine Sammlung außerordentlicher Qualität entschädigt.
Gegliedert ist die Präsentation in zwei große Blöcke: in orientalische und klassische Altertümer sowie in europäische Malerei von der Spätgotik bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Der erste Teil umspannt  ca. 3000 Jahre unserer Geschichte, wobei ein Flachrelief des assyrischen Königs Nimrod aus dem 9. Jahrhundert BC als einer der Höhepunkte angesehen werden kann.
Die Gemäldesammlung beginnt mit zwei Brustbildern, einer Heiligen (vermutlich Katharina) von Roger van der Weyden und dem Porträt einer jungen Frau von Domenico Ghirlandaio. Die heilige Katharina trägt die feinen verinnerlichten Gesichtszüge der Spätgotik und ist ein kleines Fragment aus einer vermutlich großen Altartafel aus dem Frühwerk van der Weydens.  Das Fragment ist in Europa kaum bekannt, es wurde beispielsweise in der umfangreichen Monografie von Dirk de Vos aus dem Jahr 1999 nicht aufgeführt.
Das Porträt von Domenico Ghirlandaio zeigt eine junge Frau in Dreiviertelansicht vor schwarzem Hintergrund. Sie trägt ein rotes Mieder, wie es in Florenz am Ende des 15. Jahrhunderts Mode war, und eine farblich passende Korallenkette. Beim Betrachten der Gesichtszüge fällt auf, dass der Maler offenkundig bemüht war, ein realistisches Porträt zu schaffen (während er noch wenige Jahre zuvor ein stilistisch schon überholtes Profilbildnis der Giovanna Tornabuoni gemalt hatte).
Von besonderer Qualität ist auch ein großes Porträt von Rubens aus dem Jahr 1630, das seine zweite Frau Helena Fourment in einem schwarzen Kleid zeigt. Zu dem Zeitpunkt war sie achtzehn Jahre alt, er dagegen vierundundfünfzig. Beim Betrachten des Bildes fallen die technischen Fähigkeiten des Malers besonders auf: bei der Behandlung der Hauttöne und der Stoffe des Kleides. Darüber hinaus wird durch den tiefliegenden Horizont die Größe der Figur verstärkt. Auffallend ist auch der für eine Achtzehnjährige ungewöhnliche skeptische Blick, und in diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass manche Kunsthistoriker die Ansicht vertreten, das Porträt zeige nicht Helena, sondern ihre ältere, schon verstorbene Schwester Susanna. Das Gemälde gehörte früher zur Sammlung der russischen Zarin Katharina II.
Wenige Meter entfernt erlaubt das Porträt der Mrs. Lowndes-Stone von Thomas Gainsborough aus dem Jahr 1775 einen interessanten Vergleich mit Rubens. Das Porträt Gainsboroughs gehört zu seinem Spätwerk, der Londoner Periode, in der er mit flüssigem Pinselstrich und hellen Lichtflecken die Spontaneität der Landschaftsmalerei des neunzehnten Jahrhunderts vorweggenommen hat.
Aus den weiteren Gemälden des achtzehnten Jahrhunderts möchte ich Fragonards  „Liebesinsel“ herausheben, wobei man bei Nennung des Titels sicherlich zuerst an Watteau denkt. Aber Fragonards Landschaftsbild ist beunruhigend und viel dramatischer als zum Beispiel Watteaus „Einschiffung nach Kythera“. Im Vordergrund sieht man Stromschnellen eines Flusses, auf dem eine große Gondel mit Menschen unterwegs ist. Aber ob sie zu der Insel fahren oder ob sie sie verlassen haben (dann wäre die Landschaft im Hintergrund Teil der Liebesinsel), kann man nicht erkennen.
Den Übergang zu den Räumen des neunzehnten Jahrhunderts markiert eine Marmorskulptur der Diana von Houdon, die früher auch zur Sammlung der russischen Zarin Katharina II. gehörte und in der Hermitage in Sankt Petersburg ausgestellt war. Houdon griff mit der Darstellung der Göttin der Jagd ein in Frankreich beliebtes Thema auf – man denke nur an das Porträt der Diane de Poitiers aus der Schule von Fontainebleau. Allerdings hat Houdon das Motiv sehr originell verändert: Diana rennt. Dadurch berührt sie nur mit einem Fuß den Boden, was den Künstler zwang, einen Strauch zur Abstützung  des Körpers hinzuzufügen.
Das neunzehnten Jahrhundert ist mit vielen bekannten Künstlern vertreten. Erwähnen möchte ich drei Gemälde: „Die Seinemündung“ von Turner, ein ganz ungewöhnliches Bild eines wenig bekannten Malers und den „Spiegel der Venus“ von Edward Burne-Jones.
Bei dem wenig bekannten Maler handelt es sich um Pascal-Adolphe-Jean Dagnan-Bouveret, und bei seinem ungewöhnlichen Bild mit dem Titel „Les Bretonnes au Pardon“ um eine Gruppe sitzender Frauen in schwarzen Kleidern und weißen Hauben. Die Frauen sitzen auf einer Wiese, im Hintergrund sieht man eine Kirche, und neben der Gruppe stehen zwei junge Männer, die die Frauen beobachten oder bewachen, aber deren Gesichtszüge nicht ausgeführt sind. Offenbar handelt es sich um eine religiöse Zeremonie, bei der den Frauen, die gesündigt hatten, Pardon gegeben, bzw. eine Strafe erlassen wurde. Das Besondere an dem naturalistischen Bild ist das Gesicht der in der Mitte sitzenden Frau, die als Einzige uns, die Betrachter, anblickt mit einer Mischung aus Niedergeschlagenheit, Mutlosigkeit, Verzweiflung und Müdigkeit, wie ich es selten auf einem Gemälde gesehen habe.
„Der Spiegel der Venus“ von Burne-Jones bildet den Abschluss der ausgestellten Sammlung. Das für die Malweise des Engländers vergleichsweise farbkräftige Bild ist das einzige Exemplar präraffaelitischer Malerei und hängt etwas verloren zwischen den französischen Werken.
Wer jetzt bildgesättigt die Ausstellungsräume verlässt, übersieht die Tür zu einem kleinen Nebenraum, in dem wunderbare Jugendstil- und Art déco-Schmuckkreationen von  René Lalique betrachtet werden können.
Zusammenfassend kann man sagen, dass das Gulbenkian Museum eine außergewöhnliche Sammlung klassischer Kunst in einem Gebäude der Moderne präsentiert.

Viele der bedeutendsten Museen Europas hatten ihren Ursprung in fürstlichen Sammlungen, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten. Nur wenige Museen entstanden aus bürgerlichen Initiativen ohne den Grundstock einer umfangreichen Privatsammlung. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Museum der bildenden Künste in Leipzig, ein anderes ist das Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld. 1883 wurde der Crefelder Museumsverein mit dem Ziel gegründet, ein Museum für Kunst zu betreiben und ein Gebäude dafür zu errichten. Mit vielen Spenden konnte der Bau verwirklicht und 1897 als Kaiser Wilhelm Museum und Denkmal für Kaiser Wilhelm I. eröffnet werden. Die Kunstobjekte kamen nach und nach aus Schenkungen einzelner Werke und Stiftungen zusammen, woraus sich auch die Heterogenität der Bestände erklärt. Als gemeinsamen Nenner kann man höchstens eine Ausrichtung auf deutsche Kunst erkennen, und so war es nicht verwunderlich, dass 1907 der Ankauf eines Gemäldes von Monet (einer Fassung seines heute berühmten Sonnenuntergangs hinter dem Parlament in London) als Versuch, Anschluss an die Moderne zu finden, große Empörung auslöste. Auch in den 1920er Jahren hatte es die durchaus aufgeschlossene Museumsleitung schwer, expressionistische und zeitgenössische Kunst anzukaufen. Trotzdem fielen etwa einhundert Arbeiten den nationalsozialistischen Säuberungen zum Opfer. Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte die Museumsleitung, die klassische Moderne nachzuholen, und setzte danach ganz auf zeitgenössische Kunst. So kamen Yves Klein und Jean Tinguely nach Krefeld.
Nach vierjähriger Schließung für Sanierungs- und Umbauarbeiten wurde das Museum 2016 mit einer Sonderausstellung unter dem Titel  „Das Abenteuer unserer Sammlung I“ neu eröffnet. Ein Höhepunkt der Neueröffnung war zweifellos die Freilegung des vierteiligen Lebensalterzyklus von Johan Thorn-Prikker aus dem Jahr 1923. (Das weitere Schicksal dieses Werks ist typisch für die wechselhafte Bewertung von Kunst. In den 30er Jahren wurde es abgedeckt und entging so der Beschlagnahmung. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde es freigelegt, aber 1970 wieder verdeckt, weil es dem Zeitgeist nicht entsprach.) In vielen Räumen wurden Gemälde und auch Skulpturen im Kontrast präsentiert. In einem der schönsten Räume beispielsweise hingen und standen Aluminium-Objekte von Kiki Smith, während an den Wänden zwei spätgotische (von Derick Baegert) und ein manieristisches Gemälde (von Aertgen van Leyden) hingen. Insgesamt warteten viele Überraschungen auf den Besucher. Zu den Missgriffen der Hängung gehörte dagegen die Plazierung des wahrscheinlich wertvollsten Gemäldes der Sammlung, des schon erwähnten Sonnenuntergangs von Monet, fast versteckt in einem kleinen Seitenraum.
Jetzt wurde die Sonderausstellung „Das Abenteuer unserer Sammlung I“ abgelöst von der Fortsetzung „Das Abenteuer unserer Sammlung II“. Dafür wurden mit wenigen Ausnahmen die Objekte durch eine andere Auswahl ersetzt – zu den Ausnahmen gehören der Lebensalterzyklus von Thorn-Prikker und Monets Sonnenuntergang, den man darüber hinaus nicht mehr so stiefmütterlich behandelt, sondern ihm einen angemessenen Platz in der Sichtachse eines zentralen Raums eingeräumt hat. In diesem Raum wird der Monet mit dem Porträt der Gründungsspenderin Marianne Rhodius, mit dem schönen Landschaftsbild „Stille vor dem Sturm“ von Hans Thoma und mit der großformatigen „Germania als Wacht am Rhein“ von Lorenz Clasen konfrontiert. Betrachtet man dieses berühmte Bild näher, könnte man leicht vermuten, William Marston, der Erfinder des Lügendetektors und der Comic-Figur Wonder Woman, habe die Germania gekannt und als Vorlage benutzt. Zu groß sind die Ähnlichkeiten bezüglich des Blicks, der Haltung und der Bewaffnung zwischen der Germania und Wonder Woman, die zur Zeit in den Kinos Furore macht.
Als bemerkenswert sind mir noch zwei Bilder von Alfred Mohrbutter und „Der Besuch“ von Heinrich Nauen aufgefallen. Nicht entgehen lassen sollte man sich auch die Wayang-Puppen des indonesischen Schattentheaters, die einen ganzen Raum für sich haben.
Seit einigen Jahren gehören zum Krefelder Museum mit dem Haus Lange und dem Haus Esters zwei Villen, die von Mies van der Rohe um 1930 gebaut wurden und heute für Sonderausstellungen genutzt werden. Im Haus Lange läuft gegenwärtig unter dem Titel „Die Zugezogenen“ ein Spiel zwischen Realität und Fiktion, der Einzug einer Familie, die offensichtlich wegen des Brexits aus England geflüchtet ist …
Zusammenfassend kann man zum Krefelder Museum sagen, dass in einem klassizistischen Gebäude der Gründerjahre eine äußerst heterogene Sammlung mit Schwerpunkt auf zeitgenössischer Kunst untergebracht ist und dass das Museum sich zum Ziel gesetzt hat, die Vielfalt der aktuellen Kunstströmungen beispielhaft immer wieder neu zu zeigen.
(Mai und Juni 2017)

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